Wurzeln der Innovation 5/7: Dualität
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Erst Gegensätze ergeben ein Ganzes
Ein wesentliches Geheimnis magischer Innovation ist das der Dualität.
Dualität meint die beiden Seiten einer Medaille, es ist der Gegensatz von Yin und Yang, der aber nur zusammen ein Ganzes ergibt.
Wenn Innovation oder ein Gestaltungsprozess nicht gelingt oder steckenbleibt, liegt es meistens daran, dass wir nur eine Seite der Dualität genutzt und ausgeschöpft haben. Denn Innovation braucht – wie im asiatischen Yin- / Yang-Konzept – zum Gelingen das ganze Spektrum.
Gestaltung ist nie nur schwarz oder weiß.
Sie braucht schwarz UND weiß.
Innovation braucht immer BEIDE Seiten der Medaille: Jede Seite wird im Gestaltungsprozess zum Gelingen in bestimmten Phasen benötigt.
Als ich ein geeignetes Bild für diese Wurzel entwickeln wollte, kam ich recht schnell auf die Nutzung eines Symbols, das zumindest Ähnlichkeit mit dem Yin- / Yang-Symbol hatte. Beim genaueren Recherchieren zeigte sich, dass das Yin- / Yang-Symbol NOCH passender ist, als ich angenommen hatte:
Yin / Yang: Gegensätze lassen Neues entstehen
Denn die äußere Form des Symbols, der Kreis (noch ohne die beiden Wellenbögen darin), steht für das Nichts – und zwar in dem Sinne einer Basis, aus der Etwas entstehen kann. Symbolisiert wird dieses „Nichts“ mit einem vollkommenen Kreis. Dieses „Nichts“ wird nun mit „Etwas“ befruchtet – was vorher nur die Basis aller Existenz darstellte, kann nun Leben und Bewegung entstehen lassen.
Damit kommen das helle und das dunkle Feld ins Spiel:
Yin und Yang, die nur miteinander ein Ganzes ergeben und für Leben und das Neue sorgen können.
Aus der Koexistenz allein entsteht aber noch kein Leben, es gibt keine Bewegung. Erst wenn ein Kreislauf entsteht, entstehen die Dinge unseres Lebens. Dieser Kreislauf wird dargestellt mit dem allseits bekannten Yin- / Yang-Symbol, das die ständige Wandlung von Yin zu Yang und von Yang zu Yin darstellt.
Die beiden Punkte im jeweils anderen Farbfeld stehen dafür, dass im Maximum des Yang der Beginn des Yin liegt und im Maximum des Yin der Beginn des Yang.
Ich habe beobachtet, dass, wenn wir im Gestaltungsprozess ’steckenbleiben‘, das in den allermeisten Fällen daran liegt, dass wir eine Polarität eines natürlichen Gegensatzes ausgereizt haben.
Ein paar Beispiele dazu:
- Wir haben vielleicht in der Gruppe angefangen an einem Thema zu arbeiten, jetzt kommen wir nicht mehr weiter – gegebenenfalls brauchen wir nun wieder mehr Einzelarbeit.
- Oder: Wir haben in den letzten Wochen sehr viel schöpferische Arbeit geleistet – jetzt ist einfach die Zeit gekommen, uns wieder mehr um Maintenance-Themen zu kümmern.
- Oder ich hatte eine Weile vor allem die nächsten kleinen Schritte im Blick – und jetzt ist es wieder Zeit, sich dem großen Bild meines Ziels zu widmen.
Wechsel der Gegensätze nutzen
Die Magie der Gegensätze zu nutzen, verlangt uns einiges ab: Wir brauchen eine wahre Meisterschaft in der Wahrnehmung und im Entscheiden, um die sich magisch ergänzenden Gegensätze fruchtbar für unseren Gestaltungsprozess zu nutzen.
Denn wir brauchen die Fähigkeiten,
- Zu erkennen, in welchen Dualitätsbereichen wir uns gerade befinden,
- zu erkennen, ob das noch gut funktioniert,
- Entscheidungen zu treffen, ob es an der Zeit ist, den Modus zu wechseln.
Bei manchen Dualitäten reicht es, wenn wir sie unterwegs im Gestaltungsprozess kennen lernen.
Bei anderen ist es besser, wenn wir sie schon vorher kennen – ich schlage also vor, wir schauen uns diese Dualitäten jetzt etwas genauer an: Zum einen der Wechsel zwischen sammelndem und filterndem Denken und zum anderen der Wechsel zwischen gestalterischer Ebbe und Flut.
SAMMELN UND FILTERN
Konvergent plus Divergent
Eine ganz wichtige Bedingung für kreative Problemlösungen und umgesetzte Innovationen ist der gezielte Wechsel zwischen sammelnden = divergenten Phasen und filternden = konvergenten Phasen.
Was meint das jeweils?
Filterndes / konvergentes Denken: Ich habe eine große Anzahl Elemente und wähle möglichst rasch etwas für mich Passendes aus – ich konzentriere mich auf die eine unter vielen Möglichkeiten. Ich nenne das den „Jagdmodus“ – weil ich wie auf der Jagd nur noch ein Objekt in den Fokus nehme.
Sammelndes / divergentes Denken: Ich öffne meinen gedanklichen Radar für möglichst viele Elemente, mein Trichter ist einfach weit offen und nimmt alles was er kriegen kann. Ich finde den Begriff „Bienenmodus“ dafür ganz griffig, weil wir dabei wie eine Biene von allen verfügbaren Blüten den Nektar nehmen, den wir kriegen können.
Creative Problem Solving
In den USA gibt es ein ganzes Methoden-Set, das diese Dualität in den Mittelpunkt stellt: das sogenannte „Creative Problem Solving“ (= ‚CPS‚). Es fundiert im Grunde auf den Anfängen Herrn Osbornes in den 20er Jahren (Osborne war das ‚O‘ von BBDO) und wurde seitdem immer weiter erforscht und verbessert.
Ein Grundprinzip des CPS ist die Nutzung des Gegensatzes zwischen zwei unterschiedlichen Arten zu Denken: zwischen konvergentem, d.h. filterndem versus divergentem, d.h. sammelndem Denken und vor allem der Wechsel zwischen beiden.
Die Dualität dieser Denkweisen zu nutzen ist eine eigentlich simple, aber wie wir noch sehen werden, nicht ganz einfach umzusetzende Erkenntnis.
Nur Filtern + Sammeln funktioniert.
Heute versuchen wir meist, Gestaltungsprozesse sehr konvergent (d.h. im Jagdmodus) zu leben, weil wir – durch unsere Businesskultur geprägt – darin meist geübter sind. Und in der Tat: Würde es nicht auch gehen können?
Leider nicht. Letztlich funktionieren systematische Kreativprozesse nur MIT diesem Wechsel zwischen Sammeln und Filtern gut.
Oder andersherum betrachtet:
Was würde passieren, wenn nur eine der beiden Denkmodi genutzt wird?
Naja, jede der beiden Seiten isoliert gelebt führt zu minderwertigen Ergebnissen:
Nur Filtern führt schneller zu sichtbaren, aber uninspirierten, wenig innovativen Ergebnissen,
zu viel Sammeln birgt zwar den Keim der wirklich anderen, neuen Entwicklungen in sich, führt aber zum sogenannten „kreativen Chaos“ ohne Ergebnis.
Was es so anspruchsvoll macht, sind zwei Dinge:
- Zum einen muss ich in beiden Denkarten geübt sein. Das ist meistens nicht der Fall.
- Zusätzlich muss ich in der Lage sein, dazwischen zu wechseln!
Wir können ruhig dazu stehen, dass uns das nicht leicht fällt, ohne uns dabei doof vorzukommen:
Haben Sie schon mal zwei komplexere Sportarten an einem Tag betrieben – z.B. Surfen morgens und Golfen nachmittags?
Dann werden Sie gemerkt haben, wie anspruchsvoll es ist, von dem einen auf den anderen Modus umzuschalten. Dahin zu kommen, braucht Beharrlichkeit, aber wenn wir es können, bedeutet es einen großen Zugewinn an Flexibilität in Denken und Handeln.
Mit unseren beiden Denkweisen ist das genauso:
Es ist nicht einfach, zwischen den beiden zu wechseln. Aber wenn wir es können, ist es enorm nützlich.
Jagdmodus: Durchaus geübt
Aktuell sind wahrscheinlich die meisten von uns eher im Filtern als im Sammeln geübt.
Das fängt schon bei der Personalauswahl an, bei der die sogenannte ‚Postkorbübung‘ nach wie vor eine Lieblingsmethode ist. Filterndes Denken hat in unserem Alltags immer eine Berechtigung – schließlich ist heute der Information Overload Tagesprogramm. Zu viele E-Mails, zu viele Meetings, zu viele neue Menschen… Mein Hirn tut dann etwas sehr Vernünftiges – es versucht mich zu schützen, indem es gezielt zumacht und nur noch sehr selektiv Eindrücke hineinlässt.
Zusätzlich konzentrieren viele Führungskräfte ihre Wahrnehmung sehr punktuell, weil sie ja die Entscheider-Rolle wahrnehmen müssen – d.h. das ständige Sortieren und Filtern ist ihr gewohnter Arbeitsmodus.
Außerdem üben sich viele – leider oft zu Recht – in einem regelrechten Tunnelblick, weil sie das Gefühl haben, sonst zu viel von dem Mist mitzukriegen, der sonst noch um sie herum passiert: Das alles in ihr Hirn hinein zu lassen würde sie wahrscheinlich tatsächlich davon abhalten, überhaupt etwas Sinnvolles oder Produktives zu tun.
Sie passen sich dahingehend der Situation an, dass sie ihre selektive Wahrnehmung immer weiter einschränken.
Filtern neu lernen
D.h. filtern im Sinne von ‚zackig überblicken – rasch auswählen‘ dürfte oft gut „drin sein“.
Jetzt haben wir es hier aber mit einer neuen Art von Filtern zu tun – nämlich einer, die mit Zuversicht Ideen auf ihr Potential aussortiert.
Und HIER liegt die Krux!
Filtern und „kritisch denken“ werden bei uns so gelebt, dass man stolz ist – und auch dafür gefeiert wird – wenn man als erster das Haar in der Suppe, das zugrunde liegende Risiko erkennt. Nur: Das ist natürlich witzlos. Denn: Es wird immer ein Haar in der Innovations-Suppe geben, denn eine Innovation enthält immer ein Risiko.
Das muss so sein, denn das Risiko ist die Schattenseite der „Chancen“-Münze.
Filtern – so wie wir es brauchen – hat einen anderen Hintergedanken:
Wir wollen nicht das Haar in der Suppe finden, sondern die Perlen im See.
Uns geht es jetzt darum, auf eine große Menge Möglichkeiten zu schauen und sich zu fragen:
„In welcher dieser Muscheln verbirgt sich die Perle nach der ich suche? Welche sieht vielversprechend aus? Für welche lohnt es sich, tiefer zu tauchen?“
Um unser Denken in die neue Richtung zu unterstützen, können wir uns fragen:
„Welche der Möglichkeiten ist am krassesten? Welche davon erscheint mir am riskantesten? Welche wirkt völlig wahnsinnig?“
weil die Antworten darauf meist die innovativsten Lösungen sind.
Selbstverständlich werden wir dabei ganz andere Lösungen in Betracht ziehen, die wir früher gar nicht erwägen konnten, als wir immer nur versucht haben, die Möglichkeit mit dem geringsten Risiko zu finden.
Übrigens fällt diese neue Art, filternd zu denken am leichtesten, wenn wir mehr Übung im sammelnden Denken bekommen.
Bienen sammeln alles
In einer sammelnden Phase machen wir den Radar auf und sammeln alles an Eindrücken, Ideen und Inspirationen ein, derer wir habhaft werden können. Wir bewerten gezielt gar nicht, ob irgend etwas davon später sinnvoll oder nützlich sein wird – wir nehmen einfach, was kommt oder schon da ist.
Danach legen wir nochmal nach und holen uns mit Hilfe von passenden Werkzeugen und Methoden einfach noch mehr Ideen – so lange, bis wir genug haben. Wir spielen mit diesen Elementen und schauen uns an, was sie uns an Möglichkeiten für unsere Aufgabe bieten.
In Sammelphasen ist Bewertungsfreiheit das Allerallerwichtigste.
Nur so entsteht Raum für das Unerwartete, für die eigentliche Innovation. Am besten sollten unsere Sinne so offen und frei sein wie bei einem Kind. Genau das ist das Schwierige daran:
Diese Bewertungsfreiheit braucht sehr viel Vertrauen.
In uns selbst, in die Welt, in die Menschen, mit denen wir Ideen oder Lösungen sammeln. Bewertungsfreiheit funktioniert nicht auf Knopfdruck, sondern braucht Übung, damit wir sie phasenweise nutzen können, um an die echten Ideen- und Lösungsjuwelen ranzukommen.
Und jetzt auch noch wechseln!?
Meistens sind wir in einem der beiden Denk-Modi geübter als in dem anderen.
Theoretisch könnten wir uns als Führungskraft nur auf das Filtern zurückziehen. In einem ersten Prozess kann das ok sein, langfristig würde ich das allerdings nicht empfehlen, weil es uns natürlich viel schwerer fällt, selbst die Ergebnisse aus Sammelprozessen zu schätzen, weiterzudenken und die darin liegenden Möglichkeiten zu erkennen.
Wenn mir Innovation wirklich wichtig ist, ist es lohnender, schrittweise immer mehr bewusst zwischen den Modi zu wechseln – schon alleine weil wir sonst Dinge von unseren Mitarbeitern verlangen, die wir selbst nicht leben. Und das würde es uns wahnsinnig schwer machen, eine magische Mikro-Kultur zu erschaffen und zu leben.
Prüfen, welche Denkmuskulatur ausgeprägter ist
Lassen Sie uns dort starten, wo wir sind und uns überlegen, wo wir heute starten – mit diesem Check-Up:
- Wie oft sind Sie in unbekanntem Gebiet unterwegs?
- Wie oft / wie lange pro Woche sind sie mit Routine-Aufgaben beschäftigt – oder solchen, die auch andere übernehmen könnten?
- Wie wohl / geübt fühlen Sie sich mit konvergentem Denken? Wie zuversichtlich gestaltet sich das typischerweise?
- Wie wohl / geübt fühlen Sie sich mit dem divergenten Denken?
- Was für Erfahrungen/vorgefasste Meinungen haben Sie über kreativ / gestalterisch tätige Menschen? Können Sie sich vorstellen, diese zumindest zeitweise beiseite zu legen?
Ebbe und Flut
Ebbe und Flut richtig interpretieren
Große Gestaltungsprozesse verlaufen wie Ebbe und Flut: Es gibt Phasen mit wenigen, flachen Wellen und wenig sichtbarer Aktivität, und dann wieder Phasen, in denen plötzlich alles auf einmal zu geschehen und funktionieren scheint.
Im Wellental sieht die Welt so aus, als täte sich immer noch nichts – das sind die Phasen, in denen man am liebsten die Wand hochgehen möchte. Oder wir versuchen auf Krampf, noch mehr zu tun. Oder wir wollen es generell wieder sein lassen.
In Wahrheit sammelt sich in diesen Momenten die Kraft für die nächste Wellenphase.
Wenn wir clever sind, nutzen wir die Zeit, um die Situation besser kennen zu lernen, wichtige Grundfähigkeiten zu trainieren und schärfen unsere Intuition für das Umfeld.
Wenn dann die höheren Wellen wiederkommen und wir scheinbar plötzlich so mühelos die Welle mitnehmen können, dann handelt es sich tatsächlich um das Ergebnis der Wellentäler vorher, dem was wir daraus gemacht haben und dem Nutzen des Moments.
Es ist in dem Sinne KEIN plötzlicher Erfolg.
Der Erfolg, das Ergebnis wird nur dann schlagartig sichtbar.
Nicht überbewerten: Tiefs UND Hochs
Der Gag besteht also darin, uns sowohl von den Wellentäler als auch den Höhen nicht zu sehr beeindrucken zu lassen. Sie gehen jeweils wieder vorüber.
Der optische Misserfolg des Tals ist in Wahrheit keiner. In den Wellentälern basteln wir – äußerlich noch nicht erkennbar – an den Ergebnissen, die dann die nächste Flut an den Strand wirft.
Das zukünftige Ergebnis ist nur noch nicht sichtbar.
Der Erfolg der Wellenphase ist in Wahrheit der Erfolg des Gesamtprozesses, nicht isoliert der Wellenphase.
Die Momente der hohen Wellen wiederum zeigen uns nicht notwendigerweise die Punkte, die wir gerade dann und nur dann richtig machen.
Um die Welle nutzen zu können, müssen wir vorher schon vieles richtig gemacht und gelernt haben. Es gilt, den gesamten Prozess mit seinen Auf- und Abs und den jeweils passenden Denk- und Verhaltensweisen zusammenzubringen.
Kasparov hat in seinem Buch über Strategie und Taktik übrigens ein paar sehr interessante Gedanken darüber, dass wir Misserfolge zu Tode analysieren, statt uns zu fragen, wie wir Erfolge wiederholen können.
Der Balance-Check
Immer, wenn wir nicht weiter kommen, ist wahrscheinlich ein Wechsel zwischen den Polen angesagt.
- Wo im Prozess stehe ich / wir?
- Sind wir zu weit / zu lange auf einer Seite gewesen?
- Ist Ausgleich angesagt?
Folgende Gegensatzpaare habe ich bisher entdeckt:
Checkpunkt und Abschluss
Das haben wir jetzt mitgenommen:
- Die Erschaffung von Neuem braucht das ganze Spektrum des Lebens.
- Jeweils im Maximum eines Pols steht der Wechsel zur anderen Seite der Dualität an.
- Wenn wir im Prozess steckenbleiben, haben wir wahrscheinlich das Maximum eines Pols erreicht.
- Wenn das der Fall ist, prüfen wir, wo wir stehen, und welcher Wechsel jetzt wieder Schwung in die Sache bringen kann.
- Zwei wichtige Dualitäten haben wir schon näher kennengelernt: Der Wechsel von sammelndem zu filterndem Denken und zurück, sowie den Wechsel zwischen Ebbe und Flut.
- Der Wechsel zwischen diesen und weiteren Dualitäten wird uns später auf dem Weg in Bewegung halten.
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